Wissenschaft in der Falle der Inhaltlichkeit

Einführung zu einer ungeschriebenen Aufsatzsammlung

Von Dr. rer. nat. Dr. rer. pol. Rudolf F. Matzka

im Juni 2012

In den Jahren 1980 – 1982 habe ich im Grenzbereich zwischen Wissenschaft und Meditationspraxis eine Erfahrung gemacht, die meine Einstellung zur Wissenschaft radikal verändert hat. Die hier angedachte Aufsatzsammlung soll darlegen, was diese veränderte Einstellung zur Wissenschaft bedeutet, was sie nicht bedeutet, und sie soll erkunden, welche Arten von Konsequenzen sich daraus ergeben können, für die Wissenschaft, und für die Art und Weise, wie wir Wissenschaft nutzen.

Die besagte Erfahrung ging mit einer Einsicht einher, die das Verhältnis zwischen sprachlicher Erfahrung und anderweitiger Erfahrung betrifft. Aus philosophischer oder linguistischer Sicht würde man wohl sagen, dass sprachliche Erfahrung sich von anderweitiger Erfahrung gar nicht sauber trennen lässt, weil jede Erfahrung irgendwie sprachlich eingefärbt ist, und weil jede sprachliche Erfahrung auch anderweitige (d. h. außersprachliche, inhaltliche) Aspekte hat. Die Meditationserfahrung lehrt uns jedoch etwas anderes, nämlich dass einzelne konkrete Erfahrungsmomente sich sehr wohl danach unterscheiden lassen, von welcher Art sie sind, ob sie z.B. sprachlicher oder anderweitiger Art sind.

Aus der Meditation wird Kontemplation, wenn wir unsere Aufmerksamkeit absichtsvoll lenken, mittels bestimmter Fragen, die wir im Herzen tragen. In der kontemplativen Praxis macht die Frage nach dem Verhältnis zwischen sprachlicher und anderweitiger Erfahrung durchaus Sinn, und wir können sie verfolgen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt unserer Erfahrungsmomente richten. Eine derartige Kontemplation macht deutlich, dass das Verhältnis zwischen sprachlicher Erfahrung und anderweitiger Erfahrung in den meisten Fällen ein Verhältnis der Inhaltlichkeit ist.

Im inhaltlichen Gebrauch von Sprache liegt die Möglichkeit oder Gefahr einer Einschränkung unseres Gewahrseins, derart dass unsere Aufmerksamkeit von der sprachlichen Erfahrung abgelenkt und zu der über Sprache zugänglich gemachten anderweitigen Erfahrung hingelenkt wird. In dieser Bewusstseinslage benutzen wir Sprache und blenden zugleich aus, dass wir Sprache benutzen; in dieser Bewusstseinslage verwechseln wir die sprachlich aufbereitete anderweitige Erfahrung mit der anderweitigen Erfahrung selbst.

Wenn Sprache im Modus der Inhaltlichkeit verwendet wird, wie dies in den Wissenschaften zumeist (und auch hier) geschieht, erzeugt sie eine asymmetrische Relation zwischen einem Subjekt und einem Objektbereich; zwischen einem Wir, das der Sprache ihre Inhalte gibt und entnimmt, und einem thematischen Bereich, dem diese Inhalte angehören und über den die Sprache spricht. Diese sprachlich erzeugte Subjekt-Objekt-Relation, zusammen mit der Asymmetrie einer kognitiv orientierten Intention vom Subjekt auf das Objekt (oder den Objektbereich), ist die Rahmenstruktur jeglicher Wissenschaft.

Diese Rahmenstruktur legt nun, wie schon gesagt, eine bestimmte Einschränkung unseres Gewahrseins nahe, die darin liegt, dass wir die Rahmenstruktur selbst, ebenso wie ihre Genese, vergessen, und den Objektbereich für das Ganze halten. In einem derart eingetrübten Bewusstseinszustand tendieren wir dazu, empirische Objekte so zu betrachen, als seien sie, unabhängig von uns, gegeben. Wir tendieren dazu, Dinge und Relationen und Gesetze als gegeben anzusehen, so dass die kognitive Aufgabe der Wissenschaft ausschließlich darin besteht, diese Dinge, Relationen und Gesetze korrekt abzubilden, mit den Mitteln der Sprache. Wir tendieren dann dazu, die erkenntnistheoretische Position des Realismus einzunehmen, und wir tendieren dazu, wissenschaftsgläubig zu sein.

Was würde es bedeuten, dieser Eintrübung des Bewusstseins nicht anheimzufallen? Es würde bedeuten, dass die inhaltliche Seite der Wissenschaft aufhört, unsere wissenschaftliche Aufmerksamkeit bis zur Ausschließlichkeit zu fesseln, und dass unsere wissenschaftliche Aufmerksamkeit statt dessen mit gleichem Gewicht auch auf andere, nicht-inhaltliche Seiten des wissenschaftlichen Handelns fällt. Bislang steht Wissenschaft in weiten Bereichen unter dem Diktat der Logik, welche ein hervorragend geeignetes Werkzeug ist, um den inhaltlichen Gebrauch von Sprache zu organisieren und kognitiv zu nutzen. Es fehlt jedoch an potenten Werkzeugen zur Organisation und Nutzung nicht-inhaltlicher Modi des Gebrauchs von Sprache. Es wird also darum gehen, semiotische, phänomenologische, hermeneutisiche, dialektische, meontische und andere trans-logische Denkfiguren auf ihre nicht-inhaltlichen kommunikativen Funktionen hin zu untersuchen, zu präzisieren und zu entwickeln. Damit eröffnet sich ein weites Feld von innovativer und komplexer Wissenschaftlichkeit.

Im nächsten Schritt geht es darum, diese Einsicht aus dem Bereich der Kontemplation in den Bereich der Wissenschaft zu tragen, sie in wissenschaftlichen Termini zu formulieren und mit wissenschaftlichen Methoden zu erhellen. Wenn das gelingt, ist das Fundament für eine radikal kritische Wissenschaftsphilosophie gelegt, sowie für die Erkundung der Möglichkeiten von Wissenschaft jenseits dieser Kritik, d. h. nachdem die Wissenschaft diese Kritik assimiliert und integriert hat.

Aus wissenschaftlicher Sicht steht zunächst die Aufgabe an, der Rede vom „inhaltlichen Modus“ des Gebrauchs von Sprache eine Unterscheidungskraft oder operative Bedeutung zu geben. Dazu ist es nötig, andere Modi des Gebrauchs von Sprache zu kennen, die nicht-inhaltlich operieren. Ich habe mich mit zwei wissenschaftlich zugänglichen Modi des Gebrauchs von Sprache ausführlich beschäftigt, die beide nicht-inhaltlich operieren können: Mathematik und Kenogrammatik. Beide spielen für die hier vorgelegten Untersuchungen zentrale Rollen.

Die Sprache der Mathematik ist auf Inhaltlichkeit hin angelegt. Sie ist dafür gemacht, empirische Inhalte zu tragen. Aber seit die Mathematik um die Jahrhundertwende formalisiert wurde, kann das mathematische Beweisen rein formal betrieben werden, rein syntaktisch, als regelkonformes Transformieren von Zeichenreihen im Rahmen eines gegebenen Kalküls, ohne jeden Bezug zu irgend einer Inhaltlichkeit oder Semantik. Die Inhalte müssen nur hinzukommen, wenn der Kalkül in einen empirischen Kontext eintritt. Die mathematisierenden empirischen Wissenschaften, allen voran die Physik, gelten mir als Idealtypus für die Idee der wissenschaftlichen Inhaltlichkeit.

Kenogrammatik ist eine Entdeckung von Gotthard Günther; dabei handelt es sich um eine Non-Standard-Semiotik, oder um einen alternativen Typ von Zeichenreihe, den man Kenogramm nennen kann. Die Kenogramme sind nicht atomistisch fundiert, wie die Standard-Zeichenreihen, sondern holistisch. Wie die Kenogrammatik kommunikativ operiert und wie sie das Verhältnis zwischen sprachlicher Erfahrung und anderweitiger Erfahrung organisiert, ist bislang wenig erforscht; insbesondere existiert noch keinerlei Begriff von Semantik oder Inhaltlichkeit. Kenogrammatik fungiert für mich als Generator von Ideen für wissenschaftliche Innovationen jenseits der Inhaltlichkeit und ihrer Logik.

Mathematik und Empirie

Die Sprache der Mathematik ist dafür gemacht, Inhalte zu tragen, aber sie verfügt nicht über grammatische Mittel, um selbst die Herstellung von semantischen Bezügen zu organisieren; z.B. kennt sie kein „dieses Ding dort“, das – in Verbindung mit einer hinweisenden Geste – solche Semantik herstellen könnte. Die Ankoppelung der mathematischen Sprache an die empirischen Inhalte muss deshalb durch die nicht-formale Wissenschaftssprache geleistet werden, in welcher der empirische Diskurs geführt wird. Dabei werden Bedeutungen umgangssprachlicher Wörter auf Bauelemente der mathematischen Formalsprache übertragen.

Mit der mathematisierenden Abteilung einer empirischen Wissenschaft lässt sich also ein Erfahrungsbereich abgrenzen, der rein sprachlich ist, ohne jede inhaltliche oder empirische Beimischung. An dieser Stelle geht der eingangs vorgebrachte linguistische Einwand ins Leere, sprachliche und anderweitige Erfahrung lasse sich nicht scharf trennen. Die Mathematik erlaubt, dank ihrer Formalisierung, eine klare Trennung zwischen reiner Mathematik und Anwendung von Mathematik, und reine Mathematik ist ein rein sprachlicher Erfahrungsbereich.

An dieser Stelle lässt sich auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen sprachlicher Erfahrung und anderweitiger Erfahrung, die Schnittstelle zwischen Inhaltlichkeit und Empirie, besonders klar untersuchen. Wir können unsere wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf den Prozess der semantischen Belegung der formalsprachlichen Bausteine richten, also auf den Moment, in dem wir die Bedeutung eines umgangssprachlichen Wortes auf einen formalsprachlichen Baustein übertragen. Auf diesem Weg sollte sich die Schnittstelle zwischen formalsprachlicher und umgangssprachlicher Erfahrung ebenso wie die Schnittstelle zwischen formalsprachlicher und anderweitiger (z.B. empirischer) Erfahrung klären lassen. Damit führen wir phänomenologische oder hermeneutische Methoden in die formale Wissenschaftstheorie ein, um den Prozess der Erzeugung von empirischer Semantik für mathematische Kalküle sauber zu rekonstruieren. (Damit sprengen wir die Begrenzungen der formalen Wissenschaftstheorie nach Sneed und Stegmüller, die zwischen Formalsprache und Umgangssprache eine ungeklärte Lücke stehen gelassen hat.)

Bei der Durchführung dieses Forschungsprojekts taucht ein grundlegendes Spannungsfeld auf, das zwischen Empirie und Inhaltlichkeit, zwischen teilhabender Erfahrung und reflektierender Beschreibung, regelmäßig in Erscheinung tritt. In der Empirie, im Moment des empirischen Ereignisses, in der konkreten Erfahrung, hängt alles mit allem zusammen, gibt es kein vom Rest der Welt und vom Subjekt getrenntes Objekt. In der Inhaltlichkeit muss aber das Objekt sauber von allem anderen und von uns (dem Subjekt) getrennt sein, sonst taugt es nicht als Referent für einen unserer (formalen) Sprachbausteine. Zwischen dem Moment der Empirie und dem Moment der Inhaltlichkeit ist deshalb ein Prozess der Idealisierung nötig, in dem wir das Objekt von allem anderen und von uns selbst abtrennen, es haltbar machen, und es dadurch überhaupt erst zum Objekt machen (und zugleich uns selbst zum Subjekt).

Um dieses Spannungsfeld zwischen Empirie und Inhaltlichkeit näher zu bestimmen, führe ich den Begriff der Identität ein, als Sammelbegriff für drei Merkmale, die ein Phänomen haben kann oder nicht haben kann: Einheit, Unterschiedenheit, und Dauer. Alle sprachlichen Bausteine tragen diese Identitätserkmale; ein empirisches Ereignis hingegen trägt an sich keines dieser Merkmale. Woher wissen wir, dass alle sprachlichen Bausteine die Identitätsmerkmale aufweisen? Weil wir sie selbst zu diesem Zweck erfunden und kulturell implementiert haben. Woher wissen wir, dass ein empirisches Ereignis an sich keinerlei Identitätmerkmale aufweist? Dies ergibt sich aus der holistischen Einsicht in den universellen Zusammenhang von allem mit allem, oder aus dem buddhistischen Axiom des Entstehens in wechselseitiger Abhängigkeit.

Der Prozess der Idealisierung überbrückt die grundlegende Spannung zwischen teilhabender Erfahrung und reflektierender Beschreibung. Er präpariert die Elemente der Erfahrung auf die drei Identitätsmerkmale hin, er löst sie aus ihren Zusammenhängen und macht sie identisch. Dies ist auch nötig, denn nur so erhalten die Elemente der anderweitigen Erfahrung einen ontologischen Status, in dem sie sich als Referenten für unsere formalen Sprachbausteine eignen (die ja selbst stets alle drei Identitätsmerkmale aufweisen). Der Prozess der Idealisierung und der Prozess der Herstellung einer Semantik für einen Kalkül und der Prozess der Erzeugung einer Subjekt-Objekt-Relation ist ein und der selbe Prozess. Ein positiver Abschluss dieses Prozesses ist die Bedingung der Möglichkeit von (inhaltlicher) Wissenschaftlichkeit.

Kenogrammatik

Die Grundidee der Kenogrammatik lässt sich so formulieren, dass man die Buchstaben von ihrer Anbindung an das Alphabet ablöst. Das Alphabet ist eine kulturelle Errungenschaft, die auf der Einübung des Vergleichens von atomaren Schriftgestalten beruht. Das repetitive Vergleichen atomarer Schriftgestalten hat historisch eine endliche Menge von Gestalttypen hervorgebracht, eben das Alphabet. Mit der Kenogrammatik gehen wir sozusagen hinter diese kulturelle Errungenschaft zurück, und gebrauchen Schriftgestalten so, als gäbe es kein Alphabet. Wir vergleichen dann zwei Schriftgestalten ganz unbefangen, ohne in ihnen Repräsenanten von irgend etwas Abstrakterem zu sehen, und prüfen, ob sie gleich oder verschieden sind.

Dabei stellt sich heraus, dass es dafür keine zuverlässigen Kriterien gibt. Ob zwei Schriftgestalten gleich sind oder verschieden, hängt davon ab, wie genau ich hinschaue. Gehen wir z.B. aus von zwei atomaren Schriftgestalten, sagen wir A und A. Wenn wir sie zu einer Zeichenreihe zusammenfügen wollen, müssen wir entscheiden, ob sie gleich oder verschieden sind. Dabei dürfen wir aber nicht auf das Alphabet bezug nehmen, und wenn wir das vermeiden, dann ist es völlig offen, ob A und A gleich oder verschieden sind. Wir müssen es schlicht entscheiden, vielleicht durch praktischen Erwägungen motiviert. Angenommen wir entscheiden uns für Gleichheit, wie können wir die entstehende Zeichenreihe notieren? Wir notieren einfach xx, oder wenn wir uns für Verschiedenheit entschieden haben, notieren wir x+. Es wird also nur notiert, ob die beiden Atomgestalten gleich oder verschieden sind, nichts weiter, insbesondere nicht die Atomgestalten selbst.

Die Kenogrammatik gewinnt ihre operative Kraft aus der Regel, dass die Entscheidung über Gleichheit oder Verschiedenheit von Atomgestalten nur dann und immer dann zu fällen ist, wenn die Atomgestalten zusammenkommen, um gemeinsam eine zusammengesetzte Schriftgestalt zu werden, z.B. eine Zeichenreihe. Außerhalb eines solchen Verschmelzungsprozesses bzw. außerhalb eines zusammengesetzten Zeichengebildes ist es sogar verboten, atomare Zeichengestalten miteinander zu vergleichen. Durch dieses Verbot lässt sich die ungewollte Entstehung eines globalen Alphabets von Atomen wirksam verhindern.

Ein Kenogramm besteht aus einer Reihe von atomaren Zeichengestalten, die untereinander paarweise entweder gleich oder verschieden sind, die aber sonst mit nichts Anderem in der Welt in einer Relation der Gleichheit oder Verschiedenheit stehen. Ein Kenogramm bildet somit eine Struktur, und deshalb kann es Information tragen, wenn auch weniger als eine Zeichenreihe gleicher Länge. Angenommen das Alphabet hat zwei Elemente, dann trägt ein isolierter Buchstabe 1 Bit an Information, und eine Zeichenreihe der Länge 2 trägt 2 Bits an Information; ein isoliertes Kenom hingegen trägt gar keine Information, also 0 Bit, und ein Kenogramm der Länge 2 trägt nur 1 Bit an Information.

Auch Kenogramme sind identisch, ebenso wie Zeichenreihen. Während aber die Identität der Zeichenreihen in der Identität ihrer Atome gegründet ist, ist die Identität eines Kenogramms nur in der Gleichheits/Verschiedenheitsstruktur gegründet, die zwischen seinen Atomen besteht, nicht in der Identität seiner Atome. Die Identität der Zeichenreihen ist atomistisch fundiert, die Identität der Kenogramme ist holistisch fundiert. Die Kenogrammatik ist also eine Non-Standard-Semiotik, die anders im Identitätskonzept verankert ist als die Standard-Semiotik. Diese Differenz kann sich nach meiner Einschätzung als ergiebige Quelle von Anregungen für wissenschaftliche Innovationen jenseits der Inhaltlichkeit erweisen.

Vision

Meine wichtigsten intellektuellen Bezugspunkte sind die buddhistische Philosophie nach Nagarjuna und die Polykontexturale Logik nach Gotthard Günther, dem Entdecker der Kenogrammatik. Sowohl Nagarjuna als auch Günther sind radikale Kritiker des Identitätskonzepts.

Nagarjunas Kritik führt mit einer paradoxalen Dialektik zum Durchschauen der Identitätsillusion und der Ich-Illusion, und damit zum Erwachen aus dem Traum der Inhaltlichkeit und zur Freisetzung von Weisheit und Mitgefühl. Die Praxis der Philosophie setzt somit im Subjekt einen Transformationsprozess in Gang, der die Grundlage aller Inhaltlichkeit und die Gegebenheit des Ich zuerst in Zweifel zieht und dann negiert. Damit fällt eine Blockade, welche bislang verhindert hat, dass unsere Buddha-Natur sich hätte manifestieren können. Für diesen Transformationsprozess ist es hilfreich, wenn parallel zur Philosophie diverse andere Praktiken ausgeführt werden, die auf Meditation beruhen. Nagarjuna selbst war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein großer Praktizierender des tantrischen Fahrzeugs.

Günthers Kritik führt zur Entwicklung von sprachlichen Werkzeugen zur Kommunikation in einem dynamischen Netz logischer Orte, die paarweise  diskontextural sind. Diskontextural bedeutet, dass je zwei Orte nicht einem gemeinsamen Außen angehören, auf das sie sich inhaltlich beziehen könnten, und dass sie auch sonst keine gemeinsame Inhaltlichkeit, keinen gemeinsamen semantischen Bereich haben. Die Entwicklung solcher Werkzeuge steckt jedoch noch in den Anfängen.

Günthers Vision ist, dass alle diese teilweise schon existierenden und teilweise noch zu entwickelnden sprachlichen Werkzeuge zusammen etwas bilden, das man eine Negativsprache nennen kann. Eine Sprache, die einen diskontexturalen Plural logischer Orte kommunikativ und kooperativ koordiniert, ohne auf eine äußere Welt oder sonstige gemeinsame Inhalte Bezug zu nehmen. Dies geschieht Komplementär zur Positivsprache (d. h. der Umgangssprache oder der mathematischen Sprache), die ja weiterhin zur Verfügung steht.

Mir scheint, dass Günthers Vision nicht realisierbar ist, wenn sie nicht von einer buddhistischen Sicht oder Einsicht getragen wird, d. h. von der Aspiration auf ein ungetrübtes Gewahrsein. Günther hat uns mit der Kenogrammatik eine Methode an die Hand gegeben, aber bis jetzt haben wir nicht so recht verstanden, was man mit dieser Methode alles machen kann. Es fehlt uns an Orientierung für die Erforschung der Möglichkeiten der kenogrammatischen Methode, und hier kann der buddhistische Hinweis auf die fundamentale Wichtigkeit von Mitgefühl womöglich weiterhelfen.

Wir können zum Beispiel lernen, intentionaler zu denken und zu sprechen. Die Angst vor der Intentionalität ist unbegründet, wenn unsere Intentionen in Mitgefühl gründen. Intentionen zum Ausdruck zu bringen, heißt, etwas zu wollen. Wollen und Wissen sind zueinander komplementär, Kognition und Volition ist der Titel eines Aufsatzes von Gotthard Günther. Das Wissen bringen wir in der Positivsprache zum Ausdruck, das Wollen kommunizieren wir in der Negativsprache. Was uns fehlt, ist eine Logik des Wollens.